Eröffnungsrede zur Nachhaltigkeitswoche der TU Dresden

Julia und Christine durften zur Eröffnung der Nachhaltigkeitswoche der TU-Dresden „Do it Now!“ die Eröffnungsrede halten. Wer nicht dabei war, kann hier nachlesen:

Christine:

Herzlich Willkommen auch von unserer Seite. Wir freuen uns, dass die Nachhaltigkeitswoche an der TU zum 3. Mal mit viel Beteiligung auch aus der Dresdner Zivilgesellschaft durchgeführt wird. Wir freuen uns auch darüber, dass wir unsere Ausstellung Bildung für Nachhaltige Entwicklung hier an der TU hier ausstellen können.

Sie sehen hier gerade die weibliche Doppelspitze der Lokalen Agenda für Dresden. Neben mir steht die wunderbare Julia Leuterer und ich bin Christine Mantu. Wir beide teilen uns die Geschäftsführung des Vereines.

Als wir für diese Rede angefragt wurden, hatten uns natürlich überlegt, was wir hier auf dieser Bühne so sagen möchten. Und auch wer von uns beiden das macht. Dann dachten wir, wir können uns eigentlich reinteilen. Die eine stellt unseren Verein und unsere tollen Aktivitäten vor – und die andere sagt dann noch was irgendwie was Inspirierendes, Hoffnungsvolles hinterher und dann leiten wir zur Ausstellung und zu Nachhaltigkeitswoche über.

Dann im gemeinsamen Brainstormen haben wir gemerkt, dass wir echt ein Spannungsfeld in unserer Arbeit haben. Man kann alles ganz hoffnungsvoll betrachten aber auch ganz resigniert auf die Sache schauen.

Auf der einen Seite gibt es die krasse Dringlichkeit, Gedanken wie „oh Gott es ist eh alles zu spät“ und manchmal Müdigkeit, weil man einfach das Gefühl hat auf der Stelle zu treten. Enttäuschung, zum Teil sogar auch Wut, wenn ich zum 100. Mal erklären muss, dass das mit dem Klimawandel wirklich so schlimm ist und dass Brachen wirklich so wichtig für unser Ökosystem in der Stadt sind.  

Auf der anderen Seite gibt es so viel Schönes, was uns vom Resignieren abhält und jeden Tag sinnvoll scheinen lässt. Und es gibt ja auch so viele inspirierende und tolle Menschen und Projekte. Wir erleben das tagtäglich, denn wir sind Trägerin von Netzwerken, die zu unterschiedlichen Themen arbeiten und deren Visionen uns motivieren.

Beides gehört zum Teil der Wahrheit: die Beharrungskräfte und die gelebte Veränderung.

Und deswegen werden wir auch über beides sprechen und haben uns entschieden, so unseren inneren Zwiespalt hier so ein bisschen als good cop, bad cop in dieser Rede zu thematisieren.

Und ich schonmal verraten, ich habe nicht die Rolle des guten Bullen abbekommen.

Ich werde nun also nicht die Rede damit beginnen, die Lokale Agenda und unsere Arbeit vorzustellen – auch wenn wir darauf sehr stolz sind. Schauen Sie gerne auf unsere Website, abonnieren Sie unseren Newsletter oder sprechen Sie uns auch gerne nachher an, wir springen hier sicherlich noch eine Weile rum.

Also los geht’s. Ich möchte mit einem Gefühl beginnen: Angst:

Was macht mir Angst?

Wir waren neulich auf einer Nachhaltigkeitskonferenz. Ich bin so ne Person, die tatsächlich eher manchmal unbekümmert und optimistisch und „wird schon werden“ durchs Leben geht. Aber ich habe auf der Konferenz 4 Dinge gelernt, die mich beängstigt haben:

1.     Mit einer 66% Wahrscheinlichkeit reißen wir in diesem Jahr, spätestens jedoch in 4 Jahren das 1,5 Grad Ziel. Nicht wenn ich in Rente gehe, nein wahrscheinlich dieses Jahr sonst nächstes oder übernächstes Jahr

2.     Das wahrscheinlichste Szenario derzeit ist die Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur um 4 Grad.

3.     Was bedeutet 4 Grad Erwärmung: es geht um die globale Durchschnittstemperatur.

Das heißt: Es wird nicht auf dem ganzen Erdball gleichmäßig 4 Grad wärmer. Die Ozeane werden z.b. nicht 4 Grad wärmer werden. Das heißt die Erwärmung der Landmasse, da wo wir wohnen, vor allem in den Städten, wird sich entsprechend mehr um als 4 Grad erwärmen. In den Städten wird prognostiziert, dass wir mit bis zu 8 Grad Erwärmung rechnen können.
Wenn ich mir das vorstelle, glaube ich nicht daran, dass die Urbanisierung so weitergeht, wenn wir zwischen dem Beton und den kahlen Straßen gekocht werden. Wir haben keine Architektur wie in Marrokko mit engen schattigen Straßen, weißen Dächern und kleinen Medinas, die uns vor der Hitze schützen. Wir haben unsere Städte so gebaut, dass die Sonne richtig reinknallt und dass sich Beton und Asphalt so erhitzen, dass sich Städte nachts kaum noch abkühlen können. Ich glaube dann brauchen wir nicht mehr darüber nachdenken, ob wir in den Straßen noch Bäume pflanzen sollten.

4.     Unsere Zielkonflikte sind so ineinander verhakt, dass Lösungen kaum noch innerhalb des bestehenden Systems gefunden werden können. Schauen wir auf den Bereich Bauen:

Wir brauchen Wohnraum.

  • Das Haus soll aber nachhaltig gebaut werden.
  • Das heißt es wird teurer.
  • Das heißt die Mieten werden steigen.
  • Das heißt sozialer Wohnraum wird noch knapper werden und dazu kommt:
  • wir brauchen unbedingt Entsiegelung statt Versiegelung von Flächen in der Stadt.

Durch die Versiegelung von Flächen wird die Stadt noch heißer und noch mehr Arten verschwinden. Aber was war eigentlich mit den Mieten?

Sie sehen es ist kompliziert aber es ist dringlich. Solche Zielkonflikte könnte ich wahrscheinlich für jeden Themenkomplex beschreiben. Die Herausforderungen sind richtig groß.

Und was erlebe ich in meinem beruflichen Alltag: Oft auch ein weiteres Gefühl: Ohnmacht: Ich erlebe, dass ganz ganz viel nicht geht. Und ich erlebe, dass in Grenzen gedacht wird. Ich erlebe beim Mobidialog der Stadt Dresden, wie jede positive lösungsorientiere Zukunftsvision mit einem Satz von einem Stadtrat ausgeknockt werden kann: „Da bin ich Realist“ oder „Das kann ich mir nicht vorstellen“.

Ich erlebe, dass es 3 Stadtratssitzungen braucht um 500m Radweg zu verhindern und zu beschließen und zu verhindern und zu beschließen. Dass es Stadtratsanträge gibt, wo für Parkplätze, die wegen eines neuen Radweges weichen müssen, Ausgleichsmaßnahmen geschaffen werden müssen. Das stellt einen Parkplatz auf die gleiche zu schützende Ebene wie einen Baum.

Die Veränderung muss auf systemischer Ebene stattfinden und damit meine ich gerade eben nicht „Die da Oben“! Die da Oben entstehen aus unserer Gesellschaft. Jeder von uns kann einer von „denen da oben“ werden und wir werden den gleichen Zwängen und Anreizen unterworfen sein.

Wer hat dieses System gebaut, in dem wir nun leben und diese Probleme haben? Das waren doch wir! Die Menschheit selbst! Das ist doch veränderbar. Damit meine ich nicht, dass wir eine Revolution brauchen.

Wir kamen ja nicht durch ein Portal in dieses Universum geflogen und da wurde uns gesagt: Das sind eure physikalischen Gesetze. Das ist die Lichtgeschwindigkeit, das ist die Gravitation und das ist das gesellschaftliche System. Wir können das doch verändern, aber dafür müssen wir uns erstmal selbst verändern.

Wir haben uns dieses System selbst gebaut! Deswegen können wir daran auch umbauen und ich mag umbauen auch eh viel mehr als neu bauen, weil man dann recyclen kann, was auch gut war.

Ich denke, dass wir die Hebel finden werden, wie wir sowohl das politische System, das gesellschaftliche System als auch das wirtschaftliche System auch für uns wesensgemäßer und einfach schöner gestalten können.

Wenn ich mich frage ob es irgendeinen Selbstzweck dieser Systeme gibt, dann komme ich relativ schnell auf ein Nein: Ich möchte mich darin sicher fühlen, ich möchte gesund und glücklich sein, ich möchte mich wohl fühlen und ich möchte meine Bedürfnisse befriedigen können. Und so wünsche ich mir das für alle anderen menschlichen und nicht menschlichen Erdenbewohner auch. Dafür lohnt es sich auch mal ein bisschen neu zu denken

Und dann unsere Systeme vielleicht an uns und unsere Bedürfnisse anzupassen – und nicht mehr anders herum.

Ob Psychische Erkrankungen, Burn Out, Stress, das steigt ja alles und wir werden zum Glück sensibler damit.

Das tut uns nicht gut diese Leistungsgesellschaft und die Konkurrenz zueinander. Das belegen ja nun alle möglichen Studien.

Es ist nicht gut für uns, dass wir uns als Humanressource sehen und immer höhere Effizienz erwartet wird. Das tut uns nicht gut. Und ich brauche nicht noch eine Studie lesen, um bestätigt zu bekommen, dass ich mich in einer ruhigen grünen Umgebung mit Vogelgezwitscher wohler fühle als auf einer heißen Straße und auf Parkplätzen zwischen Beton, wo Autos mit 50 Sachen unterwegs sind und kein Mensch Zeit hat nach rechts und nach links zu schauen.

Ich denke es lohnt sich für uns alle. Und ich wünsche mir sehr, dass wir auch richtig Lust darauf bekommen. Denn die Alternative ist: grau, heiß und leblos. Und genau dafür sind wir heute hier. Uns beweglicher im Kopf zu machen und auch Inspirationen mitzunehmen, von denen, die bereits aktiv an Veränderung arbeiten und ihre Visionen in Taten umsetzen.

Julia:

Christine und mir geht es ähnlich. Wir sehen die enormen Herausforderungen und die zähen Hindernisse. Und gleichzeitig sehen wir die Chancen und auch die schon lebendigen, gelebten neuen Wege.

Auch wenn ich hier der „Gute Bulle“ sein soll, es gibt Tage, da habe ich richtig Wut im Bauch. Wenn ich sehe, wie wir weiterhin auf geradezu tragische Art und Weise Zeit, Geld und menschliche Energie verschwenden, weil zukunftsweisende Projekte in der Schublade verschwinden. Weil die Planer:innen es gewagt haben, über ihren eigenen Zuständigkeitsbereich hinaus zu denken. Oder weil die Führungsebene eben doch keine starke Nachhaltigkeit – also tiefgreifende Veränderungen will – wenn die Kameras aus sind.

Oder wenn ich auf einer Fachtagung zum Thema Schwammstadt bin und mich die Vorträge inspirieren. Und mir dann jemand sagt, dass die Inhalte seit 10 Jahren die gleichen sind, aber umgesetzt wird davon fast nichts. Weil es zu teuer in der Anfangsinvestition ist. Weil es einen höheren Pflegeaufwand hat. Weil man neue Bäume nur an den Straßen plant, an denen kein Streusalz verwendet wird. Das müsst ihr euch mal überlegen: Die paar Tage Schnee die wir pro Jahr noch haben für die paar Autos wiegen mehr, als zukünftig mehr Bäume zu haben, die das ganze Jahr über die Stadt für alle abkühlen und beschatten würden. Und gleichzeitig noch einen Lebensraum für Tiere bieten.

In solchen Momenten denke ich, ich verschwende meine Zeit. Wir alle verschwenden unsere Zeit.

Denn – obwohl wir so etwas auch noch organisieren – braucht es eigentlich keine Ausstellungen mehr. Es braucht auch keine Podiumsdiskussionen mehr. Oder generell Veranstaltungen, in denen wir theoretisch über Lösungen beraten. Die Lösungen sind größtenteils da. Die Hindernisse größtenteils bekannt. Jetzt müssen wir es nur noch tun. Deswegen freue ich mich, auch so viel Praktisches Tun in eurer Woche der Nachhaltigkeit zu finden.

Wenn wir jetzt nicht handeln, sondern weiter abwarten oder ausschließlich Lösungen in altbekannten Bahnen suchen, werden uns die Entwicklungen weiterhin einholen und überholen.

Wir brauchen Wissenstransfer und Befähigung, Vernetzung und Gemeinschaft. Wir brauchen persönliche Resilienz und Demut im Miteinander. Wir brauchen soziale Innovationen und Teilhabe und damit meine ich aktive Beteiligung, auch an der Pflege unserer Gemeinschaften und Städte. Wir brauchen Zeit für all das.

Wir müssen endlich multidimensional denken. Denn wir haben nicht genug Platz, um alle Bedürfnisse nebeneinander zu bauen. Und nicht genug Zeit, um immer nur eins nach dem anderen zu tun. Wird das chaotisch? Ja. Ist es schon. Werden wir den Überblick verlieren? Ja. Haben wir schon.

Wir brauchen keine weiteren Horrorfilme und -szenarien für die Zukunft. Denn davon bekommen wir keine neuen Ideen mehr, sondern nur noch mehr Angst voreinander.

Was machen wir jetzt mit der Angst? Was machen wir jetzt mit der Wut?

Angst kann lähmen. Angst macht aber auch kreativ, wenn wir uns erlauben, sie zu fühlen.

Und Wut ist der beste Antrieb, den wir haben. Lasst sie uns nicht gegen uns selbst verwenden, und schon gar nicht gegen andere. Sondern lasst uns unsere Wut nutzen, um die Welt zu erschaffen, in der jeder von uns gerne aufwachen würde. Und zwar jeden Tag, jetzt und in Zukunft.

Denn wir brauchen positive Zukunftsvisionen, für die es sich lohnt voran zu gehen, die uns beflügeln und Vorfreude machen. Denn zumindest ich habe gemerkt, dass ich es nicht lange schaffe, gegen alte Windmühlen zu kämpfen. Aber ich kann mich umdrehen und dem Wind entgegen gehen. Und dabei helfen, neue Windräder zu bauen.

Ich möchte, dass ihr etwas mitnehmt von den wenigen Minuten, die wir zu euch sprechen dürfen. Und zwar etwas, was nur euch gehört. Deswegen möchte euch einladen, eine kleine Reise mit mir zu machen: Eine kleine Reise in unsere Zukunft im Jahr 2045. Ich werde dann 60 sein. Und ich hab richtig Bock drauf! Auf geht’s.

Macht mir mit zusammen gern die Augen zu. Wenn euch das zu abgefahren ist, schaut einfach in den Himmel oder auf die Erde, beides fein.

Atmen. Bei all dem gerade gehörten und all dem, was gerade so auf der Welt abgeht… Weiteratmen. Und jetzt erinnert euch mal an einen Moment, in dem ihr euch so richtig lebendig gefühlt habt. Oder so ganz vorfreudig aufgeregt. Oder so richtig dankbar.

Ich lade euch ein, mit diesem Gefühl jetzt um euch herum die Welt zu erschaffen, in der ihr in 20 Jahren gerne leben wollt. Das, wofür sich all die Arbeit dieser Jahre gelohnt hat. Wo es euch, euren Liebsten und unserer Mitwelt einfach gut geht. Die Zukunft, auf die ihr euch wirklich freut.

  • Was seht ihr da?
  • Wie sieht es hier aus, da, wo ihre gerade steht im Jahr 2045?
  • Was hört ihr?
  • Wie riecht die Luft?
  • Was hast du zum Frühstück gegessen?
  • Wie ist was Wetter?
  • Wie fühlst du dich?
  • Mit wem bist du da? Wer ist dir wichtig? Und wie geht es den anderen?
  • Mit welchem Gefühl schaust du auf die letzten 20 Jahre?
  • Mit welchem Gefühl schaust du in die Zukunft?

Nehmt diese Gefühle und diese schöne Welt in euch mit und – wenn ihr wollt – behaltet sie nicht für euch. Glaubt aneinander und an eine positive Zukunftsvision. Glaubt daran. Arbeitet dafür. Geht voran. Und fühlt es. Miteinander. Füreinander. Erinnert euch gegenseitig daran. Alles wird gut, wenn wir mitmachen. Und zwar jetzt. Jeder für sich und alle zusammen. So können wir es schaffen.

Ihr könnt die Augen wieder auf machen.

Danke