Die Corona-Pandemie hat unser Leben plötzlich auf den Kopf gestellt. Corona fordert unsere Geduld und psychische Kraft. Dabei gibt es nur die Gewissheit, dass es noch eine Weile so weitergehen wird.
Ein Beitrag von Antonia Bätzold.
Die Prognosen, unsere Welt wird nicht mehr die selbe sein wie zuvor, bringen bei einigen Zukunftsängste hervor. Bei anderen überwiegen Hoffnungen auf Wandel. Auch wir möchten die Chancen, die in der Krise liegen, betonen. Wenn die Systeme langsam wieder hochgefahren werden, haben wir die Chance, Dinge neu zu gestalten und zielgerichtet an einem nachhaltigeren, lebensbejahendem System zu arbeiten. Denn einen Wandel brauchen wir, spätestens bis 2050.
Stellungnahme der Wissenschaft
Die neue Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaft Leopoldina verdeutlicht, dass insbesondere 3 Prinzipien in den Mittelpunkt des politischen und gesellschaftlichen Handelns gesetzt werden müssen:
- der Schutz jedes einzelnen Menschen,
- die stufenweise zu realisierende Wiederherstellung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Handlungsfähigkeit der Bürger/innen unter Erhalt des Gesundheitsschutzes sowie
- Maßnahmen, welche sich an den Leitkonzepten von Nachhaltigkeit und Resilienz orientieren.
Auch die Max Planck Gesellschaft verdeutlicht in ihrem Statement bezüglich der Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, dass die Corona Pandemie einen Wendepunkt darstellen kann, der uns ermöglicht „mentale[n] und politische[n] Mechanismen zu brechen und jetzt vorausschauend zu handeln. Damit die kommende Krise nicht noch einschneidender wird.“ Das weitere Krisen zu erwarten sind, bestätigt auch der Wissenschaftshistoriker Jürgen Renn in einem Interview des Deutschlandfunks.
Vier Zukunfts-Szenarien
Vier Zukunfts-Szenarien sind gegenwärtig denkbar:
- die absolute Krise und anhaltende instabile Weltlage in der sich jede/r gegen jeden stellt,
- eine Gesellschaft die nicht mehr aus der Krise findet,
- eine Welt, die auf Abschottung ins Private setzt und so der Weltgemeinschaft den Rücken kehrt oder aber
- eine Gesellschaft, die auf das Miteinander setzt und die resilienten Strukturen stärkt und einer nachhaltigen Transformation mutig entgegen schreitet.
Diese 4 Szenarien wurden vom Zukunftsinstitut beschrieben und können hier nachgelesen werden. Unser Favorit ist klar Nummer 4 und wir arbeiten dafür, um Wind unter die Segel dieser Zukunftsperspektive zu leiten. Wir dürfen gespannt sein, wie sich unsere Zukunft tatsächlich gestaltet, wenn wir tatsächlich alle gemeinsam einer Vision folgen. Wie schnell dann Veränderungen möglich sind, haben wir gerade gesehen. In einer (leider) fiktiven Rede von unserer Bundeskanzlerin sieht diese die Menschen, nicht die Wirtschaft, im gesellschaftlichen Fokus – aber lest doch selbst, wie die Ansprache zu unserem Neustart aussehen könnte.
Wir sind so sehr daran gewöhnt das Leben auf diesem Planeten zu kontrollieren. Wir merken gerade, wir sind Teil von etwas Größerem, dass sich nicht kontrollieren lässt. Was passiert aber, wenn wir zulassen, aus alt eingefahrenen Bahnen abzuweichen, Neues zu wagen und unsere gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen überdenken? Die Zukunft passiert schließlich nicht einfach, sondern sie wird von uns erst erschaffen.
Hoffnung reicht nicht aus.
Hoffnung auf Veränderung gedeiht unter uns, aber Hoffnung ist etwas Spezielles. Carola Rackete sprach beim vergangenen Pioneers of Change Summit, von der Hoffnung und dass diese allein nicht ausreicht, denn es kommt auf unser Handeln an. Sie versinnbildlichte dies am Beispiel eines Apfelbaums: das Hoffen auf Äpfel allein reicht nicht aus, um welche zu ernten – erst wenn ich einen Apfelbaum pflanze, kann ich hoffen, dass ich Äpfel ernten werde. Wo pflanzen wir also unseren Apfelbaum, wo fängt man an und woran kann man sich für eine Neuausrichtung orientieren?
Seit Jahren arbeiten viele Menschen in den unterschiedlichsten Bereichen an einer nachhaltigen Weiterentwicklung und Umstrukturierung unserer gesellschaftlichen Systeme. Gerade laufen Debatten über die Aufhebung sozialer Ungleichheiten durch etwa bedingungsloses Grundeinkommen, eine Ausweitung der Bildung für nachhaltiges Bewusstsein und Handeln und eine Politik, die Wirtschaft auf ethische Grundprinzipien aufbauen will und von wissenschaftlichen Erkenntnissen zumn Schutz unserer Erde geleitet wird.
Nicht zurück zum Status Quo
Norbert Rost, Initiator der Zukunftsstadt, fordert ebenfalls Nicht zurück zum Status quo. Eine Welt die kollektiv runterfährt, die Flugreisen drastisch reduziert, Konferenzen und politische Debatten dank der Digitalisierung erfolgreich online stattfinden lässt, das Arbeiten im Homeoffice, das einen selbstbestimmteren Tagesablauf erlaubt und so Familie und Arbeit anders funktionieren könnten, aufklarende Kanäle in Venedig, Sicht auf das Himalaya Gebirge in Indien, sinkender Ölverbrauch – wir erleben die Chance, etwas zu verändern. Unsere Systeme, Gewohnheiten und klimaschädlichen Verhaltens- und Lebensweisen wurden global zurückgefahren. Einen besseren Startpunkt für eine Überholung dieser und der Etablierung nachhaltiger Strukturen gibt es selten in solchem Ausmaß.
Wir wissen nun wie es sein kann, den Alltag anders zu strukturieren, haben gelernt, dass Spieleabende auch online stattfinden können. Ein wichtiger Aspekt dieser Krise ist, dass uns bewusst(er) wird, worauf es tatsächlich ankommt: Eine moderne staatliche Gesundheitsversorgung, eine sichere, regionale Lebensmittelversorgung und eine regionale, verlässliche Produktion und funktionierende Mobilitätsnetze, ein Sozialsystem, das hinter uns steht, die Betreuung und Bildung von Kindern und Jugendlichen aber auch den Senior/innen.
Grüner Wiederaufbau
Traut sich die Politik mutig und fantasievoll voraus zu schauen, können durch Gesetze und neue Bestimmungen Nägel mit Köpfen gemacht werden: Wir brauchen eine soziale und ökonomische wie auch ökologische Neuordnung. Systemerhalt und -stabilisierung sind auf mittelfristige Sicht nicht zukunftsfähig. Unsere Gesellschaft widerstandsfähiger zu gestalten ist oberstes Gebot für die Wirtschaft und zeichnet sich im Vorhaben des grünen Wiederaufbaus ab.
Doch woran können wir uns für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung orientieren? An den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN, welche der zentralen Idee „leave no one behind“ (lass niemanden zurück) folgen und der Vision einer anderen Zukunft Form und Rahmen geben. Die 17 Ziele geben uns umfangreiche Ansatzpunkte, Nachhaltigkeit ganz praktisch zu realisieren. Dabei stehen folgende Aspekte im Vordergrund: Menschen, Planet, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft.
Corona allein wird jedoch nicht für eine Transformation in all diesen Aspekten sorgen. Jede/r einzelne ist gefragt. Viele haben plötzlich Zeit, sich weiterzubilden, eine neue Leidenschaft zu entdecken, in Ruhe zu lesen und auch sich zu erholen. In sich zu gehen, verborgenen oder verdrängten Gefühlen nachzuspüren und die eigenen Werte zu reflektieren, mag zwar zunächst nur auf individueller Ebene Ergebnisse erzielen, aber die Bewusstwerdung dieser Dinge hilft uns kollektiv einen Wertewandel umzusetzen. Was wünsche ich mir für mein Leben? Was wünsche ich mir für das Leben aller Menschen auf diesem Planeten? Frieden, Harmonie, Gleichberechtigung, Wertschätzung, Kooperation, Freude und Liebe kommen mir als erstes in den Sinn – alles immaterielle Werte, die nur durch unser Miteinander gedeihen.
Wir haben es in der Hand, Angst, Verzweiflung, Aggression und Einsamkeit umzuwandeln in Impulse von Mut, Zuversicht und Tatendrang, die uns aus dieser Krise helfen. Wir können ganz praktisch unseren Nachbar/innen Unterstützung geben, freiwillig helfen, lesen, miteinander sprechen und schreiben oder beim Spaziergang Müll aufsammeln und uns online weiterbilden und weiterentwickeln – auf persönlicher, gemeinschaftlicher und professioneller Ebene – die Welt steht uns auf ganz neue Art und Weise offen: Sind wir mutig und neugierig genug diese Wege zu betreten?