„Geht das? Feiern, ohne das gute Gewissen an der Garderobe abzugeben? Freiluftpartys, ohne die Natur zu schädigen? Eine Bunte Republik Neustadt, ohne Berge von Müll? Hedonismus, der an morgen denkt? Wie kann man die Tolerade mit 17 LKWs nachhaltiger gestalten? Sind Nachhaltigkeit und Feierlust zu Zielkonflikten verdammt? Oder können sich die Szenen sogar gegenseitig unterstützen?“
Raus aus dem Elfenbeinturm. Nachhaltigkeit muss für Zukunftsfähigkeit in jedem Bereich mitgedacht werden. Deswegen waren wir sehr froh, mit der Club- und Subkultur Dresdens in einen spannenden Austausch zu kommen. Wir wollten herausfinden, wie wir uns stärker vernetzen und Zielkonflikte aufheben können.
Die Lokale Agenda für Dresden war dieses Jahr das erste mal mit einem Beitrag beim DAVE-Festival dabei und wir danken für die Möglichkeit. In Kooperation mit dem Tolerave e.V. organisierten wir für einen spontan frei gewordenen Slot in der Scheune eine Podiumsdiskussion zum Thema „Feiern als gäbe es ein morgen. Hedonismus und Nachhaltigkeit“. Die Moderation übernahm unsere Projektkoordinatorin Christine Mantu.
Für uns war dies eine tolle Gelegenheit, unsere Netzwerkarbeit auszuweiten und die subkulturellen Netzwerke mit der sogenannten „Nachhaltigkeitsblase“ auf eine Bühne zu bringen. Ein erster Aufschlag wurde dafür bereits im Rahmen des Umundu-Festivals im Objekt klein a gemacht. Initiiert und moderiert wurde diese Diskussionsrunde von Stephan Philipp, Anmelder der Tolerade 2017 – 2019 und Engagierter beim Sukuma Arts e.V. Der Fokus lag vor allem auf Clubs und Clubkultur.
Wir wollten an diese Diskussion anknüpfen und einen größeren Bogen über die Feierkultur und den Hedonismus in Dresden spannen. Dafür wählten wir drei Themenschwerpunkte:
- Die Bunte Republik Neustadt
- die Tolerade und
- Freiluftpartys in Dresden
Bei der Vorbereitung des Podiums bekamen wir auf unsere Anfragen u.a. die Rückmeldung, dass dies ein interessantes aber schwieriges Thema sei und es einigen angefragten Referent/innen schwer fiele, gegen Hedonismus zu argumentieren, da dies die eigene Freizeitgestaltung mit betreffen würde. Dabei war gar keine hedonismuskritische Positionierung angefragt worden. Spannend war, dass die Begriffe Nachhaltigkeit und Hedonismus von einigen angefragten Personen also zuallererst als Zielkonflikt gesehen wurden.
Zunächst scheinen die Begriffe auch wie Gegensätze: Bei Hedonismus geht es oft darum dem Alltag zu entfliehen und eben nicht an morgen zu denken, wohingegen Nachhaltigkeit sich ja genuin damit beschäftigt, welche Auswirkungen unsere Taten von heute für die Welt von morgen und zukünftigen Generationen haben.
Ob das auch anders gehen kann, diskutierten wir mit folgenden Akteur/innen aus Dresden:
- Josi / Fridays for Future Dresden
- Ulla Wacker / Anmelderin BRN und Stadtbezirksbeirätin der GRÜNEN
- Lennart Happe / Tolerave e.V.; Anmelder Tolerade
- Stephan Philipp/ Tolerave e.V., Sukuma Arts e.V.
Der Dachsaal der Scheune war voll. Das Thema schien viele Interessierte anzulocken.
Foto: Erik Schiller Foto: Erik Schiller
Die Bunte Republik Neustadt
Der Einstieg in die Diskussion erfolgte über die Entwicklung des Stadtteilfestes Bunte Republik Neustadt. 2019 produzierte diese 46 Tonnen Müll – dabei vor allem Plastik- und Sperrmüll. Der BRN-Koordinatorin Ulla Wacker ist dies natürlich bekannt und sie erzählte von ihrem Vorstoß, einen BRN-Mehrwegbecher einzuführen. Dies sei ein erster Versuch, dem Müllproblem entgegen zu wirken. Die Etablierung eines Pfandsystems sei bei der Anzahl an Einzelveranstaltern nicht umzusetzen. Auch 2020 wird es diese Becher wieder bei der BRN geben, diesmal in gesteigerter Auflage.
Problematisch ist für Ulla Wacker allerdings nicht nur der Müll, den die BRN in der Neustadt nach einem Wochenende hinterlässt, sondern auch die Lärmbelastung, die Anwohner/innen zum Fliehen animiert und handgemachte Musik zunehmend verdrängt. Unter anderem scheint dieser Lärm auch den Technobühnen geschuldet. Natürlich haben der zunehmende Partytourismus und die Dichte an Bierwägen einen nicht unerheblichen Anteil an der Entwicklung der BRN.
Die Vertreter des Tolerave e.V. und Ulla Wacker werden darüber im Gespräch bleiben und versuchen gemeinsam Lösungen näher zu kommen, um die BRN wieder mehr für und mit den Anwohner/innen zu gestalten – die Kontaktdaten sind ausgetauscht. Josi von Fridays for Future berichtete, dass sie selbst einen Stand auf der BRN hatten und auch auf viele Interessierte getroffen sind – auch 2020 werden FFF sicher wieder an der BRN teilnehmen und das Thema Klimaschutz auf dem Stadtteilfest setzen.
Foto: Erik Schiller Foto: Erik Schiller
Die Tolerade als Multiplikatorin von Themen
Der Tolerave e.V. wurde als direkte Reaktion auf Pegida in Dresden gegründet. Neben verschiedenen Projekten organisiert der Verein jährlich die größte Parade Dresdens – Die Tolerade.
Die Tolerade ist dafür bekannt, dass sie Initiativen und Musik-Kollektive aus Dresden dabei unterstützt, eine Message zu senden – und das laut. 2019 zog die Parade mit 17 LKWs durch Dresden und brachte fast 10.000 Menschen auf die Straße. Pro Wagen können sich zwei Initiativen unterstützt von zwei bis drei Musikcrews präsentieren. Auch bei den Auftakt- und Abschlusskundgebungen werden die Initiativen in den Mittelpunkt gerückt. Allerdings hat diese Parade mit 17 Wägen und entsprechend 17 Dieselgeneratoren einen nicht unerheblichen ökologischen Fußabdruck. Dieser wurde vom Anmelder der Parade Lennart Happe mit 1,3 Tonnen CO2, allein für den Umzug berechnet.
Dazu gäbe es Alternativen, erklärte Josi. Denn auch Fridays for Future sei den selben Zwängen bei ihren Demonstrationen und Kundgebungen ausgesetzt und musste in der Vergangenheit auf konventionelle Technik zurückgreifen und wurde dafür auch öffentlich kritisiert. Inzwischen hat Fridays for Future einen Handwagen. Allerdings ist ein Globaler Klimastreik nicht allein mit diesem zu organisieren. Der Tolerave e.V. unterstützt Fridays for Future von Beginn an organisatorisch und stellt Technik, Equipment und Kontakte zur Verfügung.
Lennart und Stephan kennen die Problematik, wiesen aber darauf hin, dass die Parade nicht nur CO2 emmitiert sondern auch Themen multipliziert und das dies ein großer Mehrwert für die Zivilgesellschaft sei. Die Organisation der Tolerade sei für die Ehrenamtlichen bereits mit konventioneller Technik ein Kraftakt. Insgesamt können durch dieses einmalige Ereignis im Jahr viele Menschen erreicht werden, die sich sonst nicht mit der Thematik beschäftigen würden. Die Organisatoren stehen allerdings Ideen für mehr Nachhaltigkeit auf der Parade offen gegenüber und freuen sich über Unterstützung.
Der Tolerave e.V. macht das Angebot an die Nachhaltigkeitsszene, zu den Vorbereitungsplena hinzuzustoßen und bei der Organisation Impulse zu setzen.
Foto: Erik Schiller Foto: Erik Schiller
Freiluftpartys – die sogenannten „Freetekks“
Es ist wunderbar am Wochenende und gerade im Sommer im Freien zu feiern. Die Freiluftpartys, die sogenannten Freetekks, ziehen viele Gäste an. Allerdings werden Hinterlassenschaften einiger Feiern zum echten Problem für Flora und Fauna – so die Kritik. Das eigentliche Problem sind allerdings die Lärmimmissionen im Naturschutzgebiet. Einige Vögel verließen sogar ihre Nistplätze und ihre Brut – so einige berichteten Lokalzeitungsbeiträge dieses Jahr. Die Rückzugsorte für Tiere werden so im urbanen Gebiet noch weiter verkleinert.
Die Diskutanten stellten zunächst klar, dass sich das Bewusstsein für diese Problematik von Kollektiv zu Kollektiv unterscheide. Auch aus dem Publikum meldete sich Unterstützung, dass Besucher/innen dieser Veranstaltungen achtsam mit der Umgebung umgingen und danach Müll einsammelten und – so der Wortbeitrag – den Ort teilweise sauberer verließen als er vorher gewesen sei. Josi von Fridays for Future, als zukünftige Zielgruppe solcher Veranstaltungen, war bisher selbst noch nicht einer solchen Party. Sie betonte, dass man achtsam mit der Natur umgehen müsse, aber dass das Feiern an sich auch nachhaltig für die Seele sei. Ebenso wurden aus dem Publikum Tipps ausgetauscht, wie die Ausgabe und Nutzung von Taschenaschenbechern.
Als Grüne Stadtbezirksbeirätin interessierte sich Ulla Wacker dafür, ob die Subkultur sich für eine städtische Freifläche interessiere. Andere Städte sind dahingehend Vorreiter. Das Bremer Modell ist dafür bekannt, dass es legale Flächen für Veranstaltungen zur Verfügung gestellt hat und das Anmeldeverfahren unbürokratisch und schnell ermöglicht werden. Lennart Happe und Stephan Philipp können natürlich nicht für die gesamte Szene sprechen, aber dieses Modell wird auch bereits im Tolerave e.V. diskutiert und an die Dresdner Stadträt/innen herangetragen.
Foto: Erik Schiller
Insgesamt war die Diskussion sehr spannend und angenehm. Es konnte viel Verständnis für die unterschiedlichen Perspektiven generiert werden. Kontaktdaten wurden ausgetauscht. Der Dialog wird fortgesetzt. Wir bleiben am Ball.