Beitrag Christine Mantu
Am 10. Juni durfte ich einen Workshop für die Eine-Welt-Promotor:innen geben – mit Raum für Austausch, Reflexion, Nachdenken und die Frage, was es eigentlich braucht, damit Wissen zu Handeln werden kann.
Wir sind eingestiegen mit einem persönlichen Austausch, damit ich die Workshopteilnehmenden und ihre Erwartungen kennenlernen konnte. Danach beschäftigten wir uns mit dem Konzept des ökologischen Handabdrucks, den wir gerne in unserer Arbeit bei den Lokalen Agenda verwenden – einer Alternative bzw. Ergänzung zum Fußabdruck, die den Blick auf das richtet, was wir aktiv und bewusst gestalten können.
Denn während der Fußabdruck oft fragt, was wir weniger bzw. weniger schlecht machen sollten, löst er bei vielen Menschen unangenehme Gefühle wie Schuld oder Scham aus. Das kann zu Widerständen oder innerer Vermeidung führen und bringt uns nicht ins Handeln sondern vielleicht sogar in den Trotz, die Verteidigung oder wir zeigen mit dem Finger auf andere.
Der Handabdruck hingegen fragt: Wo habe ich Wirkung? Welche Hebel habe ich beruflich, gesellschaftlich, privat? Wo ist meine Einflusssphäre? Wo zeige ich vielleicht Haltung.
Danach konnten die Teilnehmenden den Zugang zu sich selbst und ihrem Wirken suchen. Mit einer 5-Finger-Methode haben die Teilnehmenden ihre eigenen Gestaltungsräume selbst reflektiert und sichtbar gemacht – und sich darüber ausgetauscht.
Der nächste Schwerpunkt lag auf den psychologischen Hürden zwischen Wissen und Handeln. Dabei kommt man nicht an dem norwegischen Psychologen und Ökonom Per Espen Stoknes vorbei, dieser ist Mitglied im Club of Rome, benennt bereits seit 2015 fünf häufige Reaktionsmuster auf die Klimakrise: distance, doom, dissonance, denial und identity. Diese psyhologischen Hürden führen dazu, dass wir uns leiber abwenden und uns selbst schützen, bevor wir uns den unagenehmen Gefühlen stellen. Auch sagt er, dass Katastrophensprache dazu führt, dass wir die Informationen und die Fakten vor allem abwerten. daher wird Wissenschaft zunehmend weniger Glauben geschenkt, weil sie für manche vom „Falschen“ kommuniziert wurde. Schaut unbedingt in den Ted Talk:
TED Talk: How to transform apocalypse fatigue into action
Inzwischen ist Stoknes Mitautor des Club-of-Rome-Berichts „Earth for All“ (2022) – einem visionären Update der berühmten „Grenzen des Wachstums“. Im Zentrum stehen fünf große Hebel: Vermögensverteilung, Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, faire wirtschaftliche Beteiligung und Ernährungssysteme.
Till Kellerhoff als einen der Autoren möchte ich zitieren mit: „Science shows that showing science doesn’t work.“
Will heißen: Daten allein bewegen uns nicht – vor allem solange sie gegen unsere Gewohnheiten, Identität, unser Zugehörigkeitsgefühl oder unser Selbstbild stehen. Denn diese sind für das Gehirn überlebensrelevanter und wichtiger als Wahrhaftigkeit oder Logik.
Deshalb haben wir auch über Gruppendenken gesprochen. Über die unbewusste Dynamik, in der wir uns selbst einem „Lager“ oder „Team“ zuordnen – und dem anderen Team automatisch bestimmte Zuschreibungen machen. Oft ohne es zu merken. Unser Team ist gut, denn wir sind gut und wollen dieses Selbstbild aufrecht erhalten.
Einen kurzen und humorvollen Einblick in die Motive unseres Gehirns bietet dieses Video von Kurzgesagt:
👉 The War (Not) To Join a Side
Am Nachmittag haben wir uns mit den Inner Development Goals (IDGs) beschäftigt – einem Rahmen für die inneren Fähigkeiten, die es braucht, um echte gesellschaftliche Transformation möglich zu machen.
Die IDGs wurden 2021 von einem internationalen Netzwerk aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft entwickelt – als Ergänzung zu den Sustainable Development Goals (SDGs). Der Gedanke dahinter: Ohne Empathie, Selbstwahrnehmung und die Fähigkeit zur Perspektivübernahme bleiben die großen Zukunftsziele reine Absichtserklärungen.
Wir haben uns in der Gruppe jenen Dimensionen gewidmet, die die Teilnehmenden persönlich am meisten angesprochen haben – darunter Beziehungsfähigkeit, kognitive Flexibilität, Sinnorientierung und ko-kreatives Handeln. Denn wie sollen wir als Menschheit zusammenarbeiten, wenn wir unserem Gegenüber nicht mal die Butter auf dem Brot gönnen?
Wie sollen wir Empathie entwickeln, wenn wir nie gelernt haben, Demut gegenüber anderen Lebensrealitäten zu empfinden – oder Missgunst in uns überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn zu hinterfragen Und wie soll ein echter Perspektivwechsel gelingen, wenn es unser Selbstbild bedroht, dass das Gegenüber vielleicht sogar recht hat?
Die IDGs zeigen: Transformation beginnt im Innen. Zugehörigkeit, Identität und das Bedürfnis, Teil des „richtigen Teams“ zu sein, sind tief in uns verankert – und oft wichtiger als Wahrhaftigkeit oder Erkenntnis.
Wenn wir diesen inneren Dynamiken nicht bewusst begegnen, wiederholen wir dieselben Muster – auch in der Klimapolitik oder in der globalen Gerechtigkeit.
Die IDGs sind deshalb keine bloße Einladung zur Persönlichkeitsentwicklung – sondern ein konkreter Schlüssel, um gemeinsam zukunftsfähig zu handeln.
Zum Abschluss durfte ich – ein persönliches Highlight – eine kleine systemische Aufstellung anleiten. Danke an die mutige Teilnehmerin! Im Rahmen meiner Ausbildung zur systemischen Aufstellerin habe ich ein Tetralemma mitgebracht – ein Format, das helfen kann, komplexe Entscheidungssituationen innerlich zu sortieren und neue Perspektiven zu erhalten.
Ein herzlicher Dank geht an unser Mitglied ver.di, das uns einen Raum im Gewerkschaftshaus zur Verfügung gestellt hat – das hat uns die Organisation sehr erleichtert. Besonders danke ich Daniel Herold für seine erneute und unkomplizierte Unterstützung.
Ich nehme viele Impulse mit – und das gute Gefühl, dass wir uns gemeinsam auf die Suche machen nach Wegen, wie echter Wandel gelingen kann. Nicht nur im Außen, sondern auch im Inneren.