Von Christine Mantu
Die RennMitte Jahrestagung 2023 war für mich eine inspirierende Reise in die Welt des nachhaltigen Bauens und Wohnens aber auch eine Konfrontation mit Zielkonflikten, Dringlichkeiten und den schwierigen Aushandlungsprozessen der deutschen Kommunalpolitik. Julia und ich haben beide als Vetreterinnen der Lokalen Agenda Dresden an der Jahrestagung in Eberswalde teilgenommen. Was uns zusätzlich zu den Inhalten motiviert hat, den Weg auf uns zu nehmen, war eben dieser Veranstaltungsort. Schon lange hatte ich Lust und war neugierig auf die Hochschule für nachhaltige Entwicklung, von der man so vieles hört.
Zwischenstopp in Berlin
Die Anreise zur Tagung begann mit einer Übernachtung in Berlin. Direkt aufgefallen sind die vielen umgestalteten fahrrad- und fußfreundlichen Straßen in Berlin Südkreuz. Dort durfte ich mich noch einmal vergewissern, dass es möglich ist Fuß- und Radverkehr auf Augenhöhe mit dem sogenannten motorisierten Individualverkehr (sprich Autos) in die Stadtentwicklung zu integrieren. Diese breite Straße für Rad- und Fußverkehr ist nicht nur wegweisend, viel wichtiger ist: sie ist möglich! Auch wenn ich mir nicht unbedingt überall so viel Asphalt wünsche und Entsiegelung immer noch das Hauptziel sein muss.
Nachhaltig zum Ziel: Kein Problem mit einem guten ÖPNV!
Am nächsten Tag fuhr ich mit der S-Bahn in nur 44 Minuten nach Eberswalde. Für viele Menschen, die sich für Nachhaltigkeit interessieren, ist dieser Ort ein Sehnsuchtsort. Hier befindet sich die Hochschule für Nachhaltige Entwicklung, für die Konferenz könnte es passender nicht sein. Der Zug war voll mit Studierenden, die von Berlin nach Eberswalde pendeln. So wie ich früher von Erfurt nach Jena. Ein bisschen Nostalgie machte sich in mir breit 🙂
Nicht möglich? Doch!
Ein riesiges Fahrradparkhaus als Holzbau begrüßt einen direkt am Bahnhof in Eberswalde <3
Das Holzbau Fahrradparkhaus in Eberswalde wurde im Jahr 2019 errichtet und ist ein architektonisches Meisterwerk, welches Nachhaltigkeit und Funktionalität perfekt vereint. Durch dieses Gebäude soll die steigende Nachfrage nach sicheren und geschützten Fahrradparkplätzen in der Stadt gedeckt und gleichzeitig der CO2-Fußabdruck reduziert werden. Es ist ein leuchtendes Beispiel für nachhaltigen Städtebau und zeigt, wie moderne Architektur Lösungen für städtische Herausforderungen bieten kann.
Stadtentwicklung und ihre brachen Schätze
Die Tagung begann mit einer herzlichen Begrüßung gefolgt von Exkursionen. Ich selbst nahm an einer Exkursion zu einer Industriebrache teil, die sich eher als interessante Stadtführung entpuppte. Das Thema behandelte die Frage, was alles möglich wäre, wenn die kommunalpolitischen Entscheidungsträger:innen das Thema Nachhaltigkeit ernsthaft angehen würden. Eberswalde steht vor denselben Herausforderungen und Zielkonflikten wie jede andere Stadt. Wir diskutierten über die Bebauung von Grünflächen, insbesondere die Innenstadtverdichtung, und über den Bau von Einfamilienhäusersiedlungen.
Für mich war die Stadtführung ganz schön ernüchternd. Es war nicht die Leuchtturmstadt, die ich erwartet hatte. Auch hier gibt es genau die gleichen lähmenden Beharrungskräfte. Auch hier fehlt Entschlossenheit und das gemeinsame klare Ziel. Ich fragte mich wirklich, wie viele Flächen auf diesem Planeten noch versiegelt werden müssen, bis wir feststellen, dass eine lebenswerte Stadt nicht nur aus Beton und Asphalt bestehen kann.
Im Anschluss an den ersten Tag gab es noch ein Get-Together an dem Julia und ich teilnahmen. Hierbei wurde viel diskutiert, auch über die Rolle der Politik. „Die machen ja gar nichts“ Aussagen, die ich nicht mag. Die Themen sind komplex, die Zielkonflikte fast unlösbar innerhalb unseres Systems. Hinzu kommen noch Ängste der Bevölkerung und unsere eigene Bequemlichkeit. Diese verleitet uns immer noch dazu zu glauben, es könnte irgendeine Lösung geben, in der wir wirklich so weitermachen könnten wie bisher. Mein Fazit ist klar: Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“. Selten sind es böse Absichten, und mehr Empathie aber auch mehr Mut würde uns allen gut tun.
Am nächsten Tag starteten wir mit Impulsvorträgen zu Stadtentwicklung und Holzbau und schärften noch einmal die Dringlichkeit für eine ganzheitliche nachhaltige Stadtentwicklung.
Meine wichtigsten Erkenntnisse:
- Wir steuern derzeit auf ein 4 Grad-Szenario bezüglich der globalen Erwärmung zu. Diese Berechnungen schließen die Ozeane mit ein, wir können an Land und vor allem in den Städten mit 8 Grad Erwärmung rechnen. Wir könnten also bis Ende diesen Jahrhunderts zwischen dem Beton, den wir verbauen, im Sommer gekocht werden.
- Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir das 1,5 Grad-Ziel noch dieses Jahr reißen. Trotzdem ist nicht alles verloren und wir sollten unsere Anstrengungen intensivieren, denn jedes Zehntel-Grad macht einen Unterschied. Das ist ein Fakt und keine Plattitüde.
- Jedes Haus, das nicht gebaut wird, ist besser für das Klima als ein Haus, das gebaut wird.
- Aufstocken und Umnutzen sind teurer als Abreißen und neu bauen. Das ist für mich unfassbar. Das, was wir teilweise von Klamotten und Elektrogeräten kennen, dass neu kaufen billiger ist, als reparieren oder recyclen, setzt sich sogar im Hausbau fort.
- Die Lösung kann also nur auf systemischer Ebene passieren. Dennoch schauen wir vor allem die Sprossen und nicht die Wurzeln der Themen an
Abschließend habe ich noch einen Workshop zum Thema klimaresiliente Stadt und Quartiere besucht. Der erste Vortrag beschäftigte sich mit Geothermie und danach mit einem geförderten Quartiersentwicklungskonzept im Bezirk Schlaatz in Potsdam. Dieser könnte perspektivisch ein Leuchtturmprojekt werden. Eine Plattenbausiedlung, die nachhaltig entwickelt werden soll und 87% CO2 einsparen soll. Das zeigt auch, wie schwierig es ist, die erforderlichen Maßnahmen innerhalb des jetzigen Systems umzusetzen. Selbst ein Vorzeigeprojekt wird nicht die 100% erreichen können. Wir sind darauf geprägt, Wohlstand mit Autos zu assoziieren, das heißt natürlich auch, dass jeder wegfallende Parkplatz als Verlust oder schlimmer, Erziehungsmaßnahme, verstanden wird.
Wen man so am Froschteich findet 🙂
Ich fand die Konferenz zum Thema nachhaltiges Bauen und Wohnen sehr spannend und dennoch auch ernüchternd. Sie hat mir gezeigt, wie eingeschränkt unsere Handlungsfähigkeit ist, wie komplex die Aufgabe ist und wie groß die Zielkonflikte sind. Dennoch nehme ich viele wertvolle Impulse und spannende Bekanntschaften mit nach Dresden und bin froh, dass ich bei dieser bedeutenden Veranstaltung dabei sein durfte.
Im wunderschönen Sonnenuntergang gings dann für mich wieder nach Dresden. Wie? Ganz einfach: mit dem Zug. Ich hatte noch tolle Gespräche mit Menschen aus der Stadtentwicklung aus Potsdam.
Danke RENN.mitte für die Einladung und danke für all das Wissen und die Emotionen, die ich nach Dresden wieder mitnehmen durfte.
Es war eine wertvolle Zeit. Danke!