So war Wir haben es satt! und Ackern fürs Klima

Wir haben es satt!

Am vergangen Samstag (18. Januar) sammelten sich zur zehnten Wir haben es satt-Demonstration Landwirt/innen, Erzeuger/innen, Verarbeiter/innen,
Klima- und Tierschützer/innen sowie Verbraucher/innen in Berlin, um gemeinsam für eine enkeltaugliche, ökologische und nachhaltige Agrarwende zu demonstrieren. Auch unsere Bundesfreiwilligendienstleistende Antonia Bätzold war unter den 27.000 Demonstrant/innen und 170 Trekkern mit unterwegs.

Auch wenn die Stimmung, die kreativen Sprüche, Kostüme und das Gemeinschaftsgefühl ein fröhliches Zusammentreffen ermöglichten, waren die Beweggründe der Demonstrant/innen im Kontrast doch deutlich ernster: Glyphosat, Tierleid in der Massentierhaltung und Billig-Fleisch, Bodendegradation, Existezangst kleiner Familien-Betriebe, Rückgang der Biodiversität, Gentechnik, Futtermittelimporte, Grundwasserbelastung mit Nitrat durch Überdüngung, Insektensterben, Zerstörung von Märkten durch Billig-Exporte…  Die Liste der gegenwärtigen Probleme in der Landwirtschaft und dem Umgang mit der Natur sind, besonders in der Zeit des Klimawandels, umfassend und betreffen neben einzelnen Landwirt/innen auch zunehmend die Gesamtheit unserer Weltgemeinschaft. Aufgrund der profiorientierten Agrapolitik verbraucht die Menschheit in enormen Tempo die Ressourcen zukünftiger Generationen und zerstört unsere hinreißende Umwelt.

Zwar folgte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner nicht der Einladung für einen Bühnenbeitrag, so traten jedoch andere starke Stimmen ins Rampenlicht und vermittelten den Demonstrant/innen Rückhalt, Motivation und das Gefühl etwas bewegen zu können, indem die eigene Stimme erhoben wird. Besonders Dr. Vandana Shiva, alternative Nobelpreisträgerin und Globalisierungskritikerin aus Indien, sprach sich für den zivilen Ungehorsam aus, um dem Treiben der Agrarindustrie Einhalt zu gebieten sowie Ernährungssouveränität zu fördern und zu bewahren. Des Weiteren traten Jörg-Andreas Krüger (NABU), Maria Staniszewska (Good Food Good Farming) und Felix Prinz zu Löwenstein (Biobauer/Vorsitzender des Bio-Dachverbandes Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft), Karl Bär (Umweltinstitut), Martin Kaiser (Greenpeace) und Christoph Bautz (Campact) vor die bunte Menschenmenge. Auch Antônio Andrioli, Agrarexperte und Mitbegründer der brasilianischen Bundesuniversität „Fronteira Sul“, fand motivierende Worte und rief auf, nicht aufzugeben, sich weiter zu erheben und zu engagieren, da das Thema des Klimawandels zunehmende Aufmerksamkeit erfährt und der damit zusammenhängende landwirtschaftliche Wandel greifbarer wird. Tenor der Redebeiträge auf der Bühne war die Botschaft, dass dieses Jahr das Jahr der Entscheidungen sei – es wird Zeit für eine gerechte, zukunftsweisende Agrarpolitik. Als Weltgemeinschaft verbleibt uns nur noch dieses Jahrzehnt, um einen nachhaltigen Wandel zu etablieren, um das prognostizierte Worst-Case-Szenario des Klimawandels abzuwenden.

Neben dieser ganzheitlichen Botschaft teilte Imker Sebastian Seusing ein ganz persönliches Schicksal mit den Anwesenden. Der Erzeuger von Bio-Honig aus Börnicke (Bernau bei Berlin) muss 4 Tonnen (!) seines wertvollen Produktes als Sondermüll entsorgen, da die gemessenen Glyphosat-Gehalte, von den Bio-Bienchen aufgesammelt von Feldern der Umgebung, deutlich zu hoch sind. Das ist nicht nur schlecht fürs Geschäft und vergebene Mühe der fleißigen Bienen, sondern demonstriert die Tragweite des Einflusses dieses schädlichen Umweltgiftes. Zwar ist die Anwendung des umstrittenen Wirkstoffs „nur noch“ bis 2022 in der EU erlaubt, dies ändert jedoch nichts in anderen Ländern, wie beispielsweise Südamerika. Glyphosat ist und bliebt nach wie vor – sowie wortwörtlich – in aller Munde.

Dank der Blechblase Berlin wurde die Demo weiter angeheizt; der Marsch durch die Stadt nahm seinen Lauf durch das Regierungsviertel. Mit Trommeln, kreativen Kostümen, Bannern und Sprüchen wurde die Aufmerksamkeit der Umgebung auf die Anliegen der Demonstrant/innen gelenkt (Impressionen). Neben der lauten Ablehnung der agrarindustriellen Landwirtschaft und die nicht zukunftsweisende Agrarpolitik, wurde sich für Body-Positivity für krummes Gemüse, vegane Ernährung, intensiveren Tier- und Insektenschutz, Bodenschutz, Schutz des alten Lebensmittel-Handwerks, regionale und unverpackte Lebensmittel, Schutz der Landschaft, mehr Biodiversität auf den Feldern, die Rettung kleiner Familienbetriebe sowie für eine Politik die sich für Menschen und Tiere, nicht für Profite und Industrie einsetzt, ausgesprochen.

Ackern fürs Klima

Im Anschluss an den lauten Demo-Zug fand im Paul-Löbe-Haus eine gesetztere Konferenz der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen unter dem Titel Ackern fürs Klima statt. Nach einer sehr langen Wartezeit am Einlass, wurde das durchgefrorene Publikum mit warmer Suppe, Gebäck, Getränken und Obst begrüßt. Die Konferenz zu Agrarpolitik und Klima wurde durch Dr. Anton Hofreiter eröffnet. In seiner Auftaktrede verdeutliche der Fraktionsvorsitzende die Zusammenhänge des gegenwärtigen Landwirtschafts- und Lebensstils auf die Klimakrise. Dabei hielt er fest, dass die vernehmbare Unzufriedenheit der Bevölkerung und Landwirt/innen ein eindeutiger Impulsgeber sein muss, Veränderungen einzuleiten, indem unter anderem besonders die kleinbäuerlichen Betriebe in einer ökologischen, flächengebundenen, tier- und menschenfreundlichen nachhaltigen Bewirtschaftung gefördert und unterstützt werden. Des Weiteren erklärte Hofreiter, dass speziell der Erhalt sowie die Förderung der eigenen Ernährungssouveränität von zunehmeder Bedeutung ist. Gerade für Länder des globalen Südens sei es von enormer Relevanz sich selbstständig, unabhängig von Agrarkonzernen, auf eigenem Land ernähren zu können, um so nicht dem Zwang zu unterliegen, das eigene Heimatland verlassen zu müssen. Weiter sprach sich der Politiker für eine klare Waren-Kennzeichnung, gleichberechtigte Zusammenarbeit und gerechte Handelsverträge, und damit auch gegen das Mercosur-Abkommen, aus.
Dr. Vandana Shiva schloss sich in ihrer Keynote ihrem Vorredner inhaltlich an; verdeutlichte die Relevanz der Ernährungssouveränität und der Entmachtung der großen Agrarkonzerne, die weltweit das Fortbestehen der kleinbäuerlichen Betriebe zunehmend verhindern und lokale Ressourcen ausbeuten. Die Umweltakivistin fordert, dass die globalisierte Junkfood-Gesellschaft sich wandelt, hin zu einem lokalen, gesunden und natürlichen Ernährungssystem.

Besonders die eigene Wahrnehmung der Konsument/innen bedarf dabei eine nachhaltige Veränderung. So sprach sich Shiva dafür aus, dass sich die Endverbraucher/innen der erdzerstörerischen Konsumgüter und Lebensmittel besser als Co-Produzent/innen wahrnehmen, da Angebot und Nachfrage eben durch mindestens zwei Parteien gelenkt werden. Für eine bewusste Wahrnehmung und das Potenzial eine Veränderung zu realisiern bedarf es zunächst die Verbreitung des Wissens und das Vorleben eines alternativen Lebensstils. Dies wurde auch in der Gesprächsrunde im Anschluss aufgriffen. Unter Leitung durch Renate Künast sprachen Dr. Shiva sowie Sophie Vermeulen von der BUNDjugend von der ganzheitlichen Betrachtung der Weltgemeinschaft. Da in unserer globalisierten Welt wirtschaftlich alles vernetzt ist, muss auch die menschliche Gemeinschaft als Einheit zusammenstehen, um das System neu zu denken und zukunftsfähig zu leben. Sophie Vermeulen sprach sich bezüglich der Ernährung und Lebensstilgestaltung im Kontext des Klimawandels für ein verbessertes Bildungsangebot an Schulen aus, um so alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen und für die Thematik zu senisibilisieren. Verantwortung sei schließlich nur übernehmbar, wenn eine bewusste Entcheidung getroffen werden kann. Renate Künast brachte in diesem Zusamenhang auch den Slogan des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf der Grünen Woche in die Diskussion – Du entscheidest. Die Sprecherin für Ernährungspolitik verwies dabei auf die simple Abgabe der Verantwortung der Politik an die Verbraucher/innen. Dies sei nicht tolerierbar, da die Verbraucher/innen zwar im eigenen Lebensstil sinnvoll etwas beitragen können das Klima und regionale Ernährungssysteme zu schützen, dennoch werden die Weichen vornehmlich durch die Politik gestellt, welche jetzt aktiv werden muss. Sophie Vermeulen schloss die Gesprächsrunde mit der Aufforderung an das Publikum, Mut zu beweisen, da es keinen anderen Weg gäbe, außer einen zukunftsfähigen Wandel zu wagen und als Gemeinschaft zusammenzustehen – lokal, regional, wie auch global.

Im weiteren Programm verteilten sich die Anwesenden auf 10 Welt-Cafés und drei Fishbowl-Panel.

Im Fishbowl-Panel „Essen wir das Klima auf?“ fanden sich Friederike Gaedke (Projektleiterin, Die Gemeinschaft e.V.), Prof. Dr. Volker Quaschning (Professor für Regenerative Energiesysteme Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin, Mitinitiator Scientists for Future) und Renate Künast MdB zusammen. Gaedke thematisierte zu Beginn das Aussterben der Esskultur und die Chance der Gastronomie sich diesem Wandel entgegen zu stellen. Die Wahrnehmung und die Wertschätzung von dem Essen auf unseren Tellern muss zunehmen, dabei bietet sich die Wissensvermittlung über Gastronomie an, um die Landwirt/innen hinter den Nahrungsmitteln hervorzuheben – und zu feiern. Ernährung muss dabei einen neuen Stellenwert in Gesellschaft und Politik einnehmen. Auch Quaschning schloss sich diesem Statement an, verdeutlichte aber, dass auf Platz eins der Veränderungen die Energiewende angesiedelt sein muss und an zweiter Position die Agrarwende. Besonders festzuhalten ist die logische Argumentationskette des Wissenschaftlers für eine vegane, also rein pflanzliche, Ernährungsweise zu Gunsten des Klimaschutzes. Da über 1/6 der Treibhausgasemmissionen allein aus der tierischen Lebensmittelproduktion entspringen, besteht kein technischer Lösungsansatz dieses Problems, sondern nur die Chance durch einen Bewusstseinswandel eine Verhaltensveränderung gesellschaftlich zu etablieren. Es bedarf einen Kostendruck und extensive Aufklärung zu dieser Thematik. So sei es absurd für Hafermilch mehr zu zahlen, als für Kuhmilch, in welcher, in Form von Tierfutter, schließlich deutlich mehr Getreide enthalten ist. Summa summarum brauchen wir eine ganzheitliche, systemische Veränderung und Maßnahmen von politischer Seite diese gesellschaftlich zu etablieren und voran zu bringen – Quaschning schlug beispielsweise als verbrauchernahe und praktische Option eine Klimaampel für eine transparentere Lebensmittelkennzeichnung vor.

Die Veranstaltung war insgesamt ein nettes Zusammentreffen von Menschen, die Größtenteils ähnliche Meinungen und Weltansichten teilen. Folglich muss sich zeigen, inwiefern aus den gesprochenen Worten der Konferenz, wie auch der Demo, wahre Taten entspringen. Wenn wir als Weltgemeinschaft endlich verstehen, dass wir einen Wandel erfolgreich meistern können, ist es möglich, dass unsere Urahnen voller Stolz auf uns zurückblicken und sich nicht fragen müssen, wieso wir trotz des vorhandenen Wissens nicht gehandelt haben – also packen wir es doch einfach jetzt an.